Restaurierung/Modifizierung SV140-Erbstück, Teil 2

Moderator: timundstruppi

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HiFire
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Restaurierung/Modifizierung SV140-Erbstück, Teil 2

Beitrag von HiFire »

Vielen Dank für die Reaktionen auf den ersten Teil und die Links!
Ja, das Saba-Forum ist mir bekannt, und wer meine erste Vorstellung gelesen hat, weiß, dass ich ursprünglich dort "anheuern" wollte, aber nicht konnte, weil die Registrierung nicht klappte.

Hier nun das Paket 2:

4) ...und ernsthaft geprüft und geflucht! :evil:

Habe dann einen Signalgenerator (eingestellt auf 1 kHz und 400 mV) am “Tuner”-Eingang, links, und erstmal nur einen Kopfhörer am passenden Ausgang angeschlossen, den Lautstärke-Schieberegler nach und nach voll aufgezogen und (angestrengt) versucht, irgend etwas zu hören: Nichts, noch nicht mal Brummen!
Der selbe Test rechts: Ein recht verhaltener, dafür aber stark verzerrter 1 kHz-Piepton.

Oha! Da fehlt's offenbar an einigem!

Weitere Tests am “Universal”-, “Micro” und “TA”-Eingang brachten eher noch ärmlichere Resultate.

Donnerschlag, jetzt wird's ernst! Das verf...te Ding ist offenbar doch total hinüber!


5) Aufgemacht...

Nach Demontage des “Hüll-Gehäuses” (gute Lösung von Grundig!) kommt ein (auf den ersten Blick) massiv verschraubtes Chassis zum Vorschein, das seine Herkunft aus dem Röhren-Zeitalter nicht verleugnen kann. Der Netztrafo mit geschätzt EI130/55-Kern und 350 VA sorgt immerhin für genug Leistungsreserve und (vor allem!) Gewicht. Ich schätze, dass die Blechkerne noch aus dem 2. Weltkrieg und der Röhren-Aera übrig waren und einfach weg mussten...aber beweisen kann ich's nicht, sooo alt bin ich nun auch wieder nicht! :D
Eine störungsmäßig gute räumliche Anordnung aller Teile ist gegeben. Die Lösung mit dem Seilzug-betätigten Netzschalter erinnert zwar ein wenig an “Incredible machine”, ist aber perfekt, so lange der Kipphebel an der Netz-ein-Taste und die beiden Umlenkrollen halten (was derzeit noch der Fall ist).
Immerhin sind doch die meisten übrigen Komponenten auf zwei Pertinax-Leiterplatten in der damals noch relativ neuen “Kupfer-kaschiert und Siebdruck-geäzt”-Variante (einseitig) untergebracht, halbwegs ordentlich nach Vor- und Endstufe aufgeteilt.

Ins Auge springt aber sofort die “Verdrahtung der Peripherie”, die teilweise (aus späterer Erkenntnis: zum größten Teil!) etwas improvisiert wirkt und schwere elektromechnische Mängel aufweist:
- Die starren Kupferlackdrähte der Trafo-Primär- und teilweise auch der Sekundärseite gehen direkt auf ihr Ziel los, ob das nun eine Lötöse an einer Sicherung oder eine Lötstelle auf einer Platine ist. Das ist höchst problematisch, nicht nur bei Reparaturen, sondern auch im Betrieb: Mechanische Spannungen in den Drähten lassen sich zwar nicht vermeiden, sollten aber fachgerecht abgefangen werden. Für Trafo-Zwischenklemmen, die das leisten würden, war wohl kein Platz da - oder (wahrscheinlicher!) kein Budget.
- Viele (zu viele!) Drähte (ebenfalls starr, selten Litze) sind ohne Durchführung durch eine Platinen-Bohrung direkt auf die Kupferseite gelötet. Wenn man weiß, wie schlecht die damaligen Kupferkaschierungen auf dem Pertinax verklebt waren, wird's einem dabei himmelangst! Schon das Vorbeitragen eines 25-W-Lötkolbens kann zum Ablösen führen, und wenn dann noch Zug darauf ist...!


6) ...und weiter geforscht.

Habe dann (mit dem bereits unter 4) aufgeführten Equipment) weitere Tests an etlichen Zwischenpunkten der Vorstufe durchgeführt, ohne wirklich Hoffnung erzeugende Resultate.

Weitere Tests einzelner Signal-Zwischenstrecken (Kopfhörer natürlich weg, dafür Oszilloskop an verschiedenen “heißen” Punkten dran) ergaben, dass ein paar Sektionen noch halbwegs gehen, aber z.B. die Zwischenverstärker 7302-123 (senkrecht auf die Vorstufen-Hauptplatine “gestellt”) zum größten Teil nicht.
Immerhin gab's aber doch noch so viel “Leben” in diesen Bereichen, dass das (erwartete!) Kratzen der Flachbahn-Potis deutlich erkennbar war.

- Als nächstes die Signalverbindung zwischen Vor- und Endstufe abgelötet (2 hauchdünne, abgeschirmte Leitungen), um die Endstufe separat unter die Lupe zu nehmen. Dabei stellte sich heraus, dass die Masseverbindung (0 V) der Vorstufenversorgung über die Schirme (!) eben jener beiden dünnen Strippen erfolgt - allerdings nicht komplett: Die allererste Vorverstärkerstufe (für TA, Micro, Universal) bezieht ihre 0 V über eine Platinen-Kontaktfläche, die mit einer der Platinen-Befestigungsschrauben Verbindung zum Chassis bekommt bzw. bekommen soll.
Das grenzt an Irrsinn und widerspricht allen Regeln der Zunft! Das hat man früher (und teilweise noch heute) bei Autos gemacht, um Kabel zu sparen, aber “richtig” war das noch nie! Zitat eines anonymen Lehrmeisters: “Bevor Du was anders machst, lernst Du erstmal, wie man's macht!”
Später noch mehr zu dieser “Grundig-Sünde”!

Zwecks Differenzierung zwischen Treiber- und End-Transistor-Problemen habe ich zunächst die End-Transistoren (Original-BD130) demontiert. Die sind in in vier Sub-Platinen gesteckt (!!) kontaktiert, was zwar die Demontage enorm erleichtert, aber eine weitere Schwachstelle mit sich bringt: Die versilberten Steckhülsen sind stark oxidiert (rabenschwarz!), wodurch die Endtransistoren wohl schon länger wenig (bzw. garnix!) zu tun hatten.
Die Sub-Platinen wiederum sind mit 1,5 qmm-Schaltlitze (ui, Litze!) mit der Endstufenplatine verbunden, wobei die Litzen an Lötösen an der Sub-Platine und direkt (aber diesmal sogar durch Bohrungen geführt!!) an der Endstufenplatine verlötet sind.
Ich habe diese Litzen komplett entfernt, die Sub-Platinen “entstückt” (Widerstände, MKS-Kondensatoren und Sicherungen (alle OK!) 'raus), in Alufolie eingewickelt, ca. eine Stunde in heißes Salzwasser (5 Esslöffel Speisesalz auf 0,5 l Wasser, Kunststoff- oder Glasschüssel) gelegt, anschließend gut gespült und getrocknet. Die Steckhülsen und Sicherungshalter sind jetzt (außen und vor allem innen!) wieder blank-silber, oxidfrei und wie neu. (Der Trick funktioniert wirklich, es muss dabei etwas nach faulen Eiern riechen, dann läuft die chemische Reaktion perfekt!)

...und während Anwendung diese alten Hausmittels rasch noch die acht BD130 geprüft: Alle OK, aber nicht gerade im B-Wert-Korridor, den Grundig angibt... :oops:
(Da hat Siemens wohl geschludert, oder der Lagerpraktikant bei Grundig ist gestolpert und hat die “Pärchen” durcheinander gebracht...)

Für den folgenden “Treiber-Test ohne Endtransistoren” habe ich die symmetrische +/- 25 VDC-Versorgung der Endstufe provisorisch mit Drahtbrücken durchgeschleift, denn ohne die Sub-Platinen käme sonst an den Treibern nichts an.
Resultat: Die “Treiberstufe links” ist komplett platt (T509 + T511), rechts ist “halb OK” (T512 defekt, was die gehörten Verzerrungen erklärt).

Da hat wohl die (Zitat) “Einzigartige elektronische Automatik...” irgendwann mal nicht so ganz funktioniert...


7) Persönliche Erklärung für zwischendurch:

Bevor mir ehrenwerte Forumsmitglieder vorwerfen, ich würde (ausgerechnet im Grundig-Forum!) “Grundig-Bashing” betreiben:
- Ich bin kein Freund von verklärten und verpeilten Vintage-HiFi-Mysterien. Früher war eben leider nicht alles besser.
- Ich unterscheide sehr wohl zwischen “Ging damals nicht besser” und “Zeitlosen Fouls”.
- Der SV140 hat -in beiderlei Hinsicht- schwere Mängel, die aber (zur Ehrenrettung) gewiß auch auf Marketing-Gesichtspunkte zurückzuführen sind: Ein “perfektes” Gerät wäre nicht mehr zu verkaufen gewesen! (Max Grundigs Karriere ist nicht zuletzt an seiner Philosophie gescheitert!)
- Nichts hindert mich daran, meinen SV140 nicht nur wieder zum Laufen zu bringen, sondern auch die eine oder andere Verbesserung durchzuführen.
- Die idealisierte Vorstellung, ganz streng und nur mit Original-Teilen zu restaurieren, führt regelmäßig zu Verzweiflung oder/und endgültigem Schrott, wie man in etlichen Fällen (und Foren) nachverfolgen kann.


8) Zwischenerkenntnisse während der bisherigen Tätigkeiten

- Spuren früherer Reparaturen waren deutlich erkennbar. Eine lokale und renommierte Fachwerkstatt (Rechnung habe ich! Den Laden gibt's aber schon ewig nicht mehr.) hat schwer herumgewütet und erste Leiterbahnen zum Ablösen gebracht, aber offenbar keine wirkliche Instandsetzung hinbekommen.
- Sehr viele Lötstellen (vorwiegend an den Platinen) sehen böse aus, obwohl sie bislang unangetastet sind. Mit “böse” meine ich: Matt, kristallin, teilweise bröselig.
Mein schlimmer Verdacht: Einwirkung von Formaldehyd, ausgegast aus Spanplattenmöbeln!!! Das ist der Super-Gau, passiert aber vermutlich häufiger, als die Möbelhersteller zugeben wollen und die Elektronik-Hersteller wissen.
Formaldehyd hat -neben hoher Kanzerogenität- die Eigenart, unter der katalytischen Wirkung von Metall-Ionen geringe Mengen Ameisensäure freizusetzen, die dann eine gewisse Korrosivität verursacht.
Diese Anfälligkeit aller elektrischer Geräte, die Lötstellen haben, ist auch noch abhängig vom verwendeten “Lötzinn”, das ja in verschiedenen Legierungen verwendet wird und dadurch nicht nur unterschiedliche Schmelzpunkte, sondern auch eine unterschiedliche “Opfer-Bereitschaft” zeigt.
In Wellen-Lötbädern zur Serienfertigung von Consumer-Ware wird heute zwar bleifreies Lot eingesetzt, aber Zinn war und ist immer drin...

Andere Metallteile (Chassis etc.) zeigen dagegen keine Korrosion, da “passt” offenbar die Legierung besser.

Also, Freunde: Es gibt Sachen, die gibt's gar nicht! Ich hatte bislang so etwas auch noch nicht in dem Ausmaß gesehen.
Denkt mal an mich, wenn Ihr an einem “Oldie” Bauteile ohne Lötkolben und ohne viel Kraft aus der Platine ziehen könnt … dann stand das Gerät (so wie meines) über Jahrzehnte unbenutzt in einem geschlossenen Spanplatten-Schrank...

- So massiv, wie das Chassis zunächst erscheint, ist's leider nicht, jedenfalls bei meinem Exemplar: Beim Herunterheben von der Werkbank mit nur einer Hand am rechten Seitenteil ("Die Kraft der zwei Herzen!" und "Isch weiswo dein haus wohnt!") hoben sich zwei der selbstschneidenden Schrauben im Kühlkörperbereich aus dem Material und erwiesen sich als "Doll-gedreht". Montagsproduktion mit falsch eingestelltem Drehmomentschrauber??
Gerade nochmal gutgegangen! Die zwei Schrauben hatte ich rasch aus meinem Fundus ersetzt, die anderen gleich mal überprüft ... und noch weitere drei ersetzt. Jetzt hält's!

9) Arbeitsplan und “Einkaufsliste”

Tjou näch, damit ergibt sich zunächst folgender Arbeitsplan:
- Alle Schiebe-Potis und auch gleich alle Ein-/Um-/Wahlschalter aufarbeiten.
- Alle Elektrolytkondensatoren (einschließlich Tantal) ersetzen.
- Alle Transistoren ersetzen. “Gezielter Austausch” lohnt sich nicht wirklich, dazu sind's zu viele.
- Drei zerdettschte Zwischenverstärker ausbauen, einschließlich Platinen neu fertigen, prüfen und wieder einbauen.
- Alle Lötstellen absaugen und nachlöten.

… und für etwas später:
- Trafo-Klemmleiste (ein)bauen.
- Platinen-Klemmen (wo möglich) einbauen.
- Verdrahtung runderneuern und verbessern.

… und für noch später:
- ggf. die Endstufe “pimpen”. Eine Vergrößerung von R519 und R520 auf z.B. 2,2 k (und damit eine Verringerung der äußeren Gegekopplung) dürften die Endtransistoren noch locker vertragen, zumal dann, wenn seriös selektierte 2N3055 eingebaut sind. Das Netzteil macht mir dabei wenig Sorgen!
70 W Sinus bei gleichem Klirrfaktor sollten eigentlich möglich sein, aber vor der Kür kommt die Pflicht!

Ca. Ostern folgt Paket 3!
Tschüs
HiFire
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mampfi
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Re: Restaurierung/Modifizierung SV140-Erbstück, Teil 2

Beitrag von mampfi »

Sehr, sehr interessant. Leider gibt es kein Daumen hoch Smily. Vielleicht muß ich da doch mal aufrüsten.
Jede Menge Grundig Zeugs, garniert mit etwas Revox, Braun, Dual und Sony, an 5 Anlagen.

Grundig forever :D
HiFire
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Re: Restaurierung/Modifizierung SV140-Erbstück, Teil 2

Beitrag von HiFire »

Hallo mampfi,
Danke für Deinen "virtuellen" Daumen-hoch!
Vielleicht ist meine Berichterstattung manchmal zu ausführlich, aber viele Eindrücke, Zusammenhänge und Entschlüsse zu Maßnahmen lassen sich in wenigen Worten nur schlecht darstellen und vermitteln.
Ab Teil 3 wird's dann auch technischer.
Außerdem hinke ich mit meinem Bericht dem Stand der Dinge um ca. 6 Wochen hinterher, da hat sich so einiges Erzählenswertes angesammelt!
So viel vorab: Mein SV140 funktioniert wieder!
Beste Grüße für heute!
HiFire
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Pollux
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Re: Restaurierung/Modifizierung SV140-Erbstück, Teil 2

Beitrag von Pollux »

In manchen Foren scheint die Meinung vorzuherrschen, daß viel Text unhöflich für den potentiellen Leser ist. Ich für meinen Teil mag solche Berichte sehr gerne, vor allem, wenn sie wie hier vernünftig geschrieben sind.
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nick_riviera
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Re: Restaurierung/Modifizierung SV140-Erbstück, Teil 2

Beitrag von nick_riviera »

hallo, erstmal vielen Dank für den Restaurierungsbericht auch von mir. Ich besitze die komplette Anlage, bestehend aus SV140, RT100, zwei Standboxen Typ 740, Tonbandgerät TS600 mit Klarsichtdeckel und dem Plattenspieler Dual 1219 in Grundig Zarge, ich glaube, er nennt sich PS 7.

Zu den Leiterbahnen, die schon abfallen, wenn sie einen Lötkolben von weitem sehen, muss man sagen, dass das bei Grundig besonders schlimm war. Ich habe auch schon Dual geräte aus der Zeit restauriert, da halten die Platinen wenigstens vorsichtiges Löten auch mehrfach aus. Was ich auch noch für erwähnenswert halte, ist, dass in den späteren Serviceunterlagen der 2N3055 als Endtransistor offiziell drinstand.

Ich habe die Anlage schon mehrere Jahre, bin aber krankheitsbedingt zum Pausieren gezwungen gewesen. Deinen Restaurierungsbericht verfolge ich mit großem Interesse, einiges habe ich schon selber erfahren wie die an sich gute aber in der Ausführung labbrige Netzschalterkonstruktion, oder die furchtbaren Fassungen für die Endtransistoren. Auch dass die Schaltung teilweise wie von hinten durchs Knie geschossen wirkt, ist mir nicht entgangen.

Falls Du noch einen passenden Tuner suchst, oder irgendwelche Teile brauchst, kannst Du Dich gerne melden. Ich habe damals von beiden Geräten, SV140 und RT100, mehrere Exemplare und Schlachtgeräte eingesammelt.

Gruß Frank
die Wurzel allen Übels liegt im Schwachsinn, während die Wurzel des Schwachsinns nicht zu unterschätzen sein sollte
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